Kleine Geschichte einer großen Familie

 

Die Geschichte des Hauses Wettin 822 bis 2002

 

 

von Jürgen Helfricht

 

 

 

Sie sind eine der ältesten deutschen Dynastien, prägen nachweisbar seit fast 1 200 Jahren ein gewaltiges Stück Europa zwischen Harz, Thüringer Wald, Fläming und Erzgebirge: die Wettiner, die Sachsen bis 1918 regierten und auch heute wieder eine wichtige Rolle im Freistaat spielen.

 

Aus dem Dunkel der Geschichte tauchen als Ahnherren erstmals um 822 ein Graf Rikbert I., später ein Graf Friedrich I. (um 875) im Harzgau und ein Graf Burkard als Inhaber der sorbischen Mark auf.  Im Jahre 908 verlor Burkard beim Kampf in Ungarn sein Leben.

Sein Enkel Dedi war ein tapferer Recke und Verwaltungs-Genie, wurde von Kaiser Otto I. mit der Bewachung mehrerer Burgen an der Saale betraut. Selbst residierte man auf Burg Gosek bei Naumburg. Später errangen sie die schöne Burg Wettin auf einem Porphyrfels 20 Kilometer nordwestlich von Halle (961 erstmals erwähnt) dazu. Sie wurde Stammsitz des Geschlechts, gab der Familie ihren Namen. 

 

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Die Wettiner begleiteten mit ihren kampferprobten Männern den Kaiser auf seinem Italien-Feldzug, bewährten sich gegen aus Polen einfallende Horden, machten sich bei der Rückeroberung der Niederlausitz verdient. Kaiser und Könige revanchierten sich großzügig, gaben den Wettinern Ländereien als Lehen: u.a. Dedi II. (1034 – 1075) im Jahre 1046 die Ostmark (Land von Saale über Mulde bis zur Oder), Heinrich I. (1070 – 1103) im Jahre 1089 die riesige Markgrafschaft Meißen. Heinrich II. (1103 – 1123) verstarb sehr früh. 

Die Reichsburg Meißen – 929 von König Heinrich I. gegründet – wurde neue Stammburg der Wettiner. Der Titel eines Markgrafen von Meißen setzt sich bis ins 21. Jahrhundert fort, gebührt heute dem Chef des Hauses Wettin. Zur Zeit Seiner Königlichen Hoheit Maria Emanuel Markgraf von Meißen, Herzog zu Sachsen (geb. 1926).

 

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Unter Konrad dem Großen (1098 – 1156), der auch die erste Stadtbefestigung von Leipzig veranlasste, wuchs das Wettin-Territorium von Jahr zu Jahr. Er wurde der mächtigste Fürst zwischen Saale und Oder. Durch die nach Osten fortschreitende Christianisierung errang er neben weltlicher auch kirchliche Macht. So wurde er Vogt zahlreicher Klöster wie Chemnitz, Pegau oder St. Peter bei Halle. Konrad bezeichnete sich als „Marchio Saxoniae“, erwies sich damit als Vordenker für das spätere Groß-Sachsen.

 

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Auf Markgraf Konrad folgte sein Sohn Otto (1125 – 1190) ab 1156. Die Geschichte verlieh ihm den Ehrennamen „Otto der Reiche“ – weil er Sachsen sagenhaft reich machte!

Sachsen war außer den Sorbenwenden der Lausitz damals kaum besiedelt. Ab und zu ragte aus dichten Wäldern eine alte Kaiser-Burg. Sonst sah man nur Auerochs, Bär und Wildschwein. Doch seit der Mitte des 12. Jahrhunderts strömten aus der Alpenregion Hunderttausende Bauern in die unbesiedelten Ost-Regionen. Markgraf Otto gab ihnen Siedlungsland zur Anlage neuer Dörfer, ließ für sie sogar Ländereien roden.1165 verlieh Otto der Reiche Leipzig das Stadtrecht, gründete Grimma, Naunhof und weitere Städte.

Als im Jahre 1168 Fuhrleute in Christiansdorf eine Silbererzader entdeckten, griff der kluge Markgraf  ein. Dicht neben der Fundstelle errichtete er einen Herrenhof, von wo aus die Silbererzgewinnung unterstützt und überwacht wurde. Das Silber – es machte Sachsen, seine Markgrafen und Fürsten über Jahrhunderte superreich. Reicher als es sich andere deutsche Fürsten je erträumten. Denn den Sachsen-Herrschern gehörte jeder zehnte Teil des geschürften Silbers.

Aus Christiansdorf wurde die stolze Bergstadt Freiberg. Noch 1897 erinnerten sich die Bürger an den Gründer, setzten ihm mit dem Markgraf-Otto-Brunnen ein würdiges Denkmal.

Otto stärkte nicht nur durch Klostergründungen, wie 1162 Altzella für die Zisterzienser bei Nossen, seine Macht. 1175 erhielt Freiberg eine große Pfeiler-Basilika. 1225 wurde hier die Goldene Pforte – eins der bedeutendsten Kunstwerke der Romanik nördlich der Alpen – als Portal errichtet.

 

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Sein Sohn und Nachfolger, Markgraf Albrecht der Stolze (1158 – 1195), konnte nicht so erfolgreich für Sachsen wirken. In seiner hochfahrenden Art hatte er sich 1188 mit dem Vater überworfen. Als dieser ankündigte, ihm statt der reichen Mark Meißen das weniger wertvolle Weißenfels zu vererben, nahm er Otto auf Burg Döben bei Grimma gefangen. Erst der Befehl Kaiser Friedrich Barbarossas brachte dem Vater die Freiheit wieder.

1190 Markgraf geworden, überwarf sich Albrecht mit der Geistlichkeit. 1195 gab ihm ein Verräter in Freiberg Gift in den Becher. In der Sänfte ließ er sich schnell nach Meißen tragen, hauchte jedoch auf halber Strecke in Krummenhennersdorf sein Leben aus.

 

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Auf Albrecht den Stolzen folgte Markgraf Dietrich der Bedrängte (1162 – 1221). Der fromme Mann, der Klöster mit reichen Schenkungen bedachte, starb wie sein Vorgänger durch Gift.

 

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Sein Sohn und Thronfolger Markgraf Heinrich der Erlauchte (1218 – 1288) war da noch nicht einmal drei Jahre alt. Mit 12 Jahren volljährig, übernahm er die Herrschaft, wurde der berühmteste Wettiner des ganzen Mittelalters.

Chronisten rühmten ihn als strahlenden Jüngling, als mutigen Gotteskrieger. 1237 zog er mit 500 Rittern, Tausenden Knechten und riesigem Tross auf Kreuzzug gegen die heidnischen Preußen, die damals noch Pruzzen hießen. Mit dem Wahlspruch „Bekehrung oder Tod“ unterwarf er die Preußen für den Deutschen Ritterorden.

Für seine treuen Verdienste um den Glauben und das Reich wurde Heinrich im Jahre 1254 zu Merseburg vom deutschen König mit Thüringen belehnt.

Den Wettinern unter Heinrich dem Erlauchten gehörte damit auf einmal der größte Teil Mitteldeutschlands – ein sagenhaftes Reich von der Oder bis zur Werra!

Das lief nicht ganz unblutig ab. Vor allem die Eisenacher hatten etwas gegen die sächsische Herrschaft, konnten erst 1262 besiegt werden. Eisenachs Bürgermeister Felsbach traf es besonders hart. Er wurde mit einer Bilde, einem Wurfgerät, zu Tode geschleudert.

Trotzdem war Heinrich der Erlauchte ein geselliger Mann. Chronisten rühmten ihn als berühmten Minnesänger und begeisterten Falkenjäger. Er war ein bedeutender Dichter und Schöpfer kirchlicher Kompositionen.

Die letzten 20 Jahre seiner über50-jährigen Regierungszeit verbrachte Heinrich vor allem in Meißen, Tharandt und Dresden. Das von seinem Vater gegründete Dresden machte er zur Residenz, errichtete hier ein markgräfliches Schloss, eine Kirche und eine steinerne Elbbrücke.

 

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Nach Heinrich dem Erlauchten folgten acht weitere Markgrafen. Spätere Generationen verliehen ihnen Beinamen, die oft ein bezeichnendes Licht auf deren Wesen werfen: Albrecht der Entartete (1240 – 1315), Dietrich der Weise, der Fette (1242 – 1286), Friedrich Tuta (1269 – 1291), Friedrich I., der Gebissene (1257 – 1323), Friedrich II., der Ernsthafte (1310 – 1349), Friedrich III., der Strenge (1332 – 1381), Balthasar (1336 – 1406), Wilhelm I., der Einäugige (1343 – 1407).

Manche kamen unter blutigen Umständen ums Leben, teilten den Besitz, beschworen Krisen herauf. Andere vergrößerten durch Kauf, Unterwerfung und Heirat die Ländereien. So kamen Nordhausen, Mühlhausen, Hildburghausen, Gera, Schleiz, Vogtland-Teile oder Coburg hinzu.

 

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Wie ein Lichtblitz der Geschichte trat im 15. Jahrhundert Friedrich IV., der Streitbare (1370 – 1428), an die Macht. Diesem außerordentlich klugen und kampferprobten Mann verdanken die Wettiner die Kurwürde und den Landnamen Sachsen.

Doch bevor Friedrich den Kur-Hut bekam, gründete er mit seinem Bruder Wilhelm II. 1909 die Universität Leipzig. Seitdem hat Sachsen eine der ältesten Universitäten der Welt.

Durch seine Erfolge als Feldherr gegen die böhmischen Hussiten hatte sich Friedrich die Achtung des deutschen Königs Siegmund erworben. Dieser belehnte ihn am 1. August 1425 in Budapest mit der Kurwürde, dem Erzmarschallamt und dem Herzogtum Sachsen. Der 53-jährige Friedrich, als Kurfürst Friedrich I. genannt, und die Wettiner waren damit auf die höchste Stufe der deutschen Reichsfürsten gerückt. Ihren Ländereien (u.a. meißnische Lande, Pleißeland) gaben sie fortan den einheitlichen Namen Sachsen.

Friedrich, der am 4. Januar 1428 in Altenburg starb, wurde als erster seines Geschlechts in der Fürstenkapelle des Meißner Doms beigesetzt. Die spätgotische Gruft erhielt 1455 eine Bronzeplatte mit seinem Antlitz und ist wegen Friedrichs Bedeutung über alle anderen Grabplatten herausgehoben.

 

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Bei des Vaters Tod war Friedrichs ältester Sohn und neuer Herrscher 15 Jahre alt: Friedrich II., der Sanftmütige (1412 – 1464)!

Dessen jüngster Bruder Wilhelm III. (1425 – 1482) machte der Familie große Sorge, forderte von Friedrich II. immer wieder Thüringen.

So musste Kursachsen 1445 geteilt werden. Friedrich II. erhielt den Ost-, Wilhelm III. den Westteil. Doch damit begann erst richtig ein Bruderkrieg zwischen beiden, der im Jahre 1451 ein Ende fand.

Ein weiterer Schicksalsschlag traf Sachsen in der Nacht vom 7. zum 8. Juli 1455. Der gewalttätige Ritter Kunz von Kaufungen raubte über eine Strickleiter die beiden 14 und 12 Jahre alten Söhne Friedrich II. aus der schlecht bewachten Altenburg. Mit der Beute wollte er nach Böhmen. Doch im erzgebirgischen Elterlein stellte ihn ein Köhler, befreite die Prinzen Ernst und Albrecht. Kunz wurde am 14. Juli 1455 auf dem Freiberger Markt enthauptet. Der Kriminalfall ging als Prinzenraub von Sachsen in die Historie ein.

 

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Weil Wilhelm III. kinderlos starb, fiel Thüringen bei seinem Tode 1482 an die Hauptlinie der Wettiner. Damit an Kurfürst Ernst (1441 – 1486) und Herzog Albrecht (1443 – 1500). Beide regierten lange Jahre gemeinsam, hatten eine Hofhaltung im Dresdner Schloss, bauten ab 1471 zusammen in Meißen eine Burg nach französischem Vorbild.

Doch auch diese beiden Brüder vertrugen sich nicht ewig. Am 11. November 1485 unterschrieben sie zu Leipzig den verhängnisvollen Teilungsvertrag. Albert wählte den meißnischen Teil, Ernst bekam Thüringen. Seitdem ist das Haus Wettin in zwei Linien getrennt: Ernestiner und Albertiner. Und das mächtige Sachsen-Reich blieb geteilt –  bis heute! Für die Geschicke Sachsens sind seitdem die Albertiner entscheidend.

 

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Nach der Leipziger Teilung blieb die Kurwürde bis 1547 bei den Nachkommen von Kurfürst Ernst: Friedrich III., der Weise (1463 – 1525), Johann der Beständige (1468 – 1532) und Johann Friedrich der Großmütige (1503 – 1554).

Der in Dresden aufgewachsene Friedrich III. unternahm viele Reisen durch sein Reich, suchte die Beamten an ihren Amtssitzen auf, sah überall persönlich nach dem Rechten. Damit das Land über genügend gut ausgebildete Theologen, fähige Juristen und begabte Pädagogen verfügt, gründete er 1502 die Universität Wittenberg. Er war unter Deutschlands Kurfürsten der älteste und angesehenste, sollte deutscher Kaiser werden. Doch am Wahltag, dem 28. Juni 1519, gab er in Frankfurt am Main dem Habsburger Karl seine Stimme. Der fromme Mann, der es mit dem Reformator Martin Luther nicht leicht hatte, fühlte sich zu schwach für die Verantwortung. Fast hätten die Wettiner fortan den Kaiser stellen können!

Seine beiden Nachfolger hatten wenig Glück. Johann Friedrich der Großmütige war sogar fünf Jahre Gefangener des Kaisers, schloss in Weimar seine Augen.

 

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Mit Herzog Georg dem Bärtigen (1471 – 1539) kehren die Albertiner wieder in unser Bewußtsein zurück. 1496 heiratete er in Leipzig die polnische Königstochter Barbara. Als sie nach 38 glücklichen Ehejahren starb, ließ sich Georg einen Bart wachsen. In seine Zeit fällt der Bauernkrieg. Außerdem lag Georg, der sich von Luther abwandte, die Heiligsprechung des Bischofs Benno sehr am Herzen.

 

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Ihm folgte sein Bruder Herzog Heinrich der Fromme (1473 – 1541) für zwei Jahre als Regent. Dieser hatte bis zu Georg Tod im Freiberger Schloss ein beschauliches leben geführt. Er galt als gutmütig, unkriegerisch, sammelte trotzdem kostbare Geschütze. Sein Verdienst ist die Gründung der Bergstadt Marienberg.

 

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Ein sächsischer Fürst stellte all seine Vorfahren in den Schatten: Kurfürst Moritz (1521 – 1553)! In Freiberg geboren, ging er als Macht- und Tatmensch schon früh eigene Wege. Gegen den Willen der Eltern verlobte er sich Pfingsten 1540 heimlich mit der Landgrafen-Tochter Agnes von Hessen. Im folgenden Januar fand die Vermählung mit der 14-Jährigen statt. Und schon im August übernahm er die Regierung des Herzogtums. Mit dem Reichtum aufgelöster Klöster gründete er die Fürstenschulen Meißen, Grimma und Schulpforta.

Dem im Reiten, Jagen und Waffentragen geübten Wettiner waren die Grenzen des Landes zu eng. Schon 1542 stürzte er sich in den Türkenkrieg, Herbst 1543 unterstützte er mit 1 000 Reitern den Kaiser gegen die Franzosen., Sommer 1545 zog er gegen Herzog Heinrich von Braunschweig ins Feld. Im Glaubenskrieg stellte er sich zuerst gegen seine protestantischen Verwandten auf die Seite des katholischen Kaisers, half die Schlacht von Mühlberg (24. April 1547) zu gewinnen.

Damit hatte Moritz zwei Glückstreffer gelandet: Erstens konnte er nach der Wittenberger Kapitulation des ernestinischen Verwandten, der die Kurwürde verlor, sein zersplittertes Sachsen auf Kosten der Ernestiner gewaltig vergrößern (leider ohne Thüringen). Zweitens wurde Moritz am 4. Juni zum Kurfürsten ausgerufen. Seitdem sind die albertinischen Wettiner ununterbrochen Sachsens Kurfürsten und Könige!

Danach stieg Moritz in die Europa-Politik ein, wurde der Führer norddeutscher evangelischer Fürsten. Im Sattel wie in der Diplomatie mit allen Wassern gewaschen, wuchs er zum erbitterten Gegner des Kaisers. Dem König von Frankreich verkaufte er die deutschen Städte Cambrai, Metz, Toul und Verdun. Der finanzierte dafür den Krieg gegen den Kaiser, den man 1552 in die Knie zwang. Das heißt, mit ihm wurde Religionsfrieden erreicht – die Anerkennung des Protestantismus!

Moritz war 1553 der wichtigste deutsche Fürst, der zukünftige König. Doch er stürzte sich wieder ins Kampfgetümmel – ein eher unbedeutendes Scharmützel gegen einen gewalttätigen Markgrafen. In der Schlacht von Sievershausen bei Hannover verwundete Moritz am 9. Juli 1553 eine Kugel – im Rücken. Vermutlich wurde er noch vergiftet. Über seinem Leichnam prangt im Freiberger Dom ein prächtiges Denkmal.

 

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Nach dem plötzlichen Tod des Kurfürsten Moritz kam 1553 sein jüngerer Bruder auf den Thron: Kurfürst August von Sachsen (1526 – 1586), den man später sogar „Vater August“ nannte.

Schon 1548 hatte sich August in Torgau mit der dänischen Königstochter Anna vermählt. Als Herrscher suchte er zuerst den Ausgleich mit den Ernestinern. 1554 überließ er ihnen Teile Thüringens, schenkte den armen Verwandten 100 000 Gulden.

Die erwiesen sich als höchst undankbar, wollten zwölf Jahre später im Kampf noch mehr. Da schickte August das kursächsische Heer nach Gotha, ließ Berater vierteilen, köpfen, henken. Der Ernestiner selbst ging in lebenslange kaiserliche Haft. Kurfürst August nahm sein Land-Geschenk zurück. Auch später gelang ihm noch manche Vergrößerung Sachsens. August führte die Schulpflicht ein, baute die mächtige Festung Augustusburg bei Chemnitz, verschönerte Dresden durch gewaltige Bauten wie Kanzlei- und Zeughaus. Letzteres beherbergte 359 Kanonen.

Doch Augusts eigentliche Leidenschaft galt Wissenschaften wie Astronomie und Astrologie sowie kunsthistorischen Sammlungen. Rund 100 000 Globen, Uhren, Meteoriten, Instrumente, Gemälde, Bücher trug er bis zum Lebensende in seiner kurfürstlichen Kunstkammer im Dresdner Residenzschloss zusammen. Damit begründete August alle großen Dresdner Museen (wie Mathematisch-Physikalischer Salon, Museen für Mineralogie und Naturkunde, Gemäldegalerie, Skulpturensammlung) und die heutige Sächsische Staats- und Universitätsbibliothek.

Aus seiner Ehe mit Anna – sie erwarb sich bei Tier- und Bienenzucht, Obst- und Weinbau große Verdienste, gründete die erste Apotheke Sachsens – gingen 15 Kinder hervor.

 

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„Vater August“ folgten sechs Kurfürsten auf dem Thron: Christian I. (1560 – 1591),  Christian II. (1583 – 1611), Johann Georg I. (1585 – 1656), Johann Georg II. (1613 – 1680), Johann Georg III. (1647 – 1691) und Johann Georg IV. (1668 – 1694).

Christian I. baute an das Dresdner Schloss den Stallhof an, errichtete die Christiansburg auf dem Königstein. Sein Sohn war ein Liebhaber guten Bieres, von Turnieren und Ritterspielen. Nach einem Ringrennen trank der erhitzte Kurfürst zu kaltes Bier – wurde 28-jährig vom tödlichen Schlagfuß getroffen.

Der die Musik liebende Bruder übernahm die Macht, regierte Sachsen im 30-jährigen Krieg. Für seine Treue trat ihm der Kaiser die Ober- und Niederlausitz ab. So konnte Johann Georg I. den größten Landgewinn seit 1547 für Sachsen verbuchen. Am 6. September 1645 ließ er mit den verhassten Schweden zu Kötzschenbroda den Waffenstillstandspakt abschließen.

Dessen Sohn legte u.a. mit dem Großen Garten den Grundstein für barocke Pracht in Dresden.

Johann Georg III. machte Schluss mit Prunk, entfernte ausländische Speichellecker vom Hofe – um mehr Geld in der Kriegskasse zu besitzen! 1688 eroberte er Belgrad, schickte schon 1684 Truppen nach Venedig gegen die Türken und zog vier Jahre später mit 14 000 Mann gegen Frankreich ins Feld.

Sein ältester Sohn regierte von allen bis dahin an die Macht gelangten Wettinern die kürzeste Zeit, keine zweieinhalb Jahre. Ihn zogen die Reize der Tochter des Leibgarden-Chefs mehr als die der Kurfürstin an. Dabei hatte seine Mätresse schon als 13-Jährige Verehrer im Bett. Sie erkrankte an Blattern – und der Kurfürst steckte sich auf ihrem Sterbebett mit der damals unheilbaren Krankheit an.

 

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Man hat ihn als August den Starken, als prunkvollen Fürsten mit zahlreichen Mätressen in Erinnerung – er leitete das augustäische Zeitalter ein: Kurfürst Friedrich August I. (1670 – 1733)!

Doch selbst sah er den polnischen Königs-Thron als seine größte Eroberung. Es war seine Eitelkeit, die Gier, sich grenzenlos auszuleben. Auf jeden Fall erschien ihm eine Königskrone als einzig würdige Kopfbedeckung. Da bot sich der Tod des polnischen Königs Johann Sobieski an.

Wer sich gegen die acht Mitbewerber um die Polenkrone bewarb, musste vor allem den polnischen Adel bestechen. Wie ein Landesverräter verhökerte August dafür uralte kursächsische Ländereien und Herrschaftsansprüche, versetzte Juwelen aus dem Staatsschatz im Millionen-Wert. Ein Jude nahm für ihn zehn Millionen Gulden Darlehen auf. Und August wurde Katholik.

Der Plan gelang. Am 15. September 1697 wurde August in Krakau zum König von Polen gekrönt. 1700 brach er einen Krieg gegen Schweden vom Zaun – und wurde vernichtend geschlagen. Die Schweden besetzten im Herbst 1706 sogar Sachsen. Die Besatzungskosten: geschätzte 35 Millionen Taler.

Unter großen Opfern für Sachsen konnte August 1709 zwar auf den Königs-Thron zurückkehren. Doch die Polen liebten ihn nie.

Um seinen Hofstaat, glanzvolle Feste und die wundervollen Barockbauten zu finanzieren, führte er neue Steuern ein. Dresden verdankt ihm Bauwerke von Weltrang wie Zwinger, Taschenbergpalais, die Neue Königstadt (Neustadt) mit Japanischem Palais, Schloss Moritzburg, Großsedlitz. Einzigartige Schätze ließ er für das Grüne Gewölbe anfertigen.

 

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Nach August dem Starken wurde 1733 sein einziger ehelich geborener Sohn Friedrich August II. (1696 – 1763) Kurfürst von Sachsen. 1734 krönten die Polen auch ihn zum König. Der treue Katholik und Ehemann (vermählt mit einer Kaiser-Tochter) jagte gern und hörte Musik. Seiner Sammelleidenschaft verdankt Dresden Gemälde wie die Sixtina, seiner Religiosität die Hofkirche. Das Regieren überließ er Premier von Brühl, der Sachsen in zwei Schlesische und den 7-jährigen Krieg führte.

 

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Herrscher für nur 74 Tage wurde danach Kurfürst Friedrich Christian (1722 – 1763). Trotz Behinderung (Rückgratleiden) ging er forsch an Reformen der Brühlschen Misswirtschaft, Reduzierung von Armee und Staatsschulden.

 

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Sein ältester Sohn Friedrich August (1750 – 1827) übernahm für 59 Jahre – die längste Regentschaft aller Wettiner – die Macht. Bis zum 18. Lebensjahr wurde er durch einen Administrator vertreten. Von Preußen in einen Kampf gegen Frankreich gedrängt, zog Napoleon den sieglosen Friedrich August 1806 auf seine Seite –  und Sachsens Herrscher wurde der Königs-Titel zugesprochen.

Seitdem ist Sachsen Königreich, sind die Herrscher Könige. Die Bindung an Napoleon verpflichtete Sachsen, dem Korsen Truppen gegen die verbündeten Preußen, Russen und Österreicher zur Verfügung zu stellen.

Nach der für Napoleon verheerenden Völkerschlacht bei Leipzig wurde König Friedrich August I. von den Alliierten verhaftet, nach Berlin verschleppt.

Sachsen verlor große Gebiete, eigentlich wollte Preußen ganz Sachsen einverleiben. Des Königs Tragik: Er hatte sich in schwerer Zeit an den Treueschwur gegenüber Napoleon gebunden gefühlt. Alle anderen Fürsten waren abgesprungen. Erst Juni 1815 durfte er in sein verkleinertes Sachsen zurück. 

 

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Ein Monarch kam 1828 ans Staatsruder, regierte Sachsen neun Jahre lang: König Anton (1755 – 1836)! Historiker verliehen ihm den Beinamen „der Gütige“. Vom Schicksal ohne Nachkommen ausgestattet, ließ der vorausschauende alte Herr ab 1830 seinen Neffen Friedrich die Regierungsgeschäfte als Mitregent lenken.

Unter Antons Oberleitung gelang eine grundlegende Staatsreform: der Übergang zu einem konstitutionellen Staat mit bürgerlich-liberalen Grundlagen.

 

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1836 König geworden, stand Friedrich August II. August (1797 – 1854) dem Fortschritt weiterhin aufgeschlossen gegenüber. So benutzte er 1839 statt Kutsche den ersten deutschen Ferneisenbahnzug für die Fahrt von Dresden nach Leipzig. Die revolutionären Umtriebe 1849 beendete er jedoch mit preußischem Militär. Trotz zweier Ehen verstarb er kinderlos. Bei einem Ausflug in die Tiroler Alpen traf ihn in Imst-Brennbichel der Schlag eines Pferdehufes am Kopf.

 

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Mit seinem jüngeren Bruder kam erstmals ein Gelehrter auf den Thron: König Johann (1801 – 1873)! Ein Denker, Sozialreformer und Dichter, der vor allem auf Schloss Weesenstein und Pillnitz lebte. Er beherrschte sieben Sprachen, übersetzte unter dem Pseudonym „Philalethes – Freund der Wahrheit“ sogar Dantes „Göttliche Komödie“ ins Deutsche. 1861 führte er das Sächsische Gewerbegesetz ein, das erstmals Kündigungsschutz, Tarif-Lohnzahlungen, Lehrlingsausbildung, Kranken- und Unterstützungskassen für Sachsens Arbeiter regelte.

 

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Dem Gelehrten folgte ein Feldherr und Militärgenie auf den Sachsen-Thron: König Albert (1828 – 1902). Mit 15 Jahren Leutnant, mit 23 zum General befördert – da wurden selbst die Preußen neidisch! Tapferkeit bewies er 1848 im Feldzug gegen Dänemark. 1866 focht er an der Spitze von 31 000 Soldaten in der Schlacht von Königgrätz gegen Preußen. Seine Siege in den Schlachten von St. Privat und Verdun gegen Frankreich machten ihn legendär – und zum preußischen Feldmarschall. Seit 1873 Sachsens König, blühte unter dem Musik und Theater liebenden Albert das Königreich auf, wurde vom Agrar- zum Industriestaat.

 

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Ihm folgte sein Bruder Georg (1832 – 1904) für zwei Jahre als König. Der 70-jährige Witwer hatte den Rang eines Generalfeldmarschalls, war Finanzfachmann, Musikliebhaber und kümmerte sich seit 1855 als Vorsitzender um den Sächsischen Altertumsverein. Nur machte seine steife Etikette den Umgang mit ihm manchmal schwierig.

 

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Sein Sohn König Friedrich August III. (1865 – 1932) ahnte beim Amtsantritt 1904 nicht, dass er einmal Thron und Land verlieren könnte, ins Exil getrieben wird. Den Sachsen war er ans Herz gewachsen. Als seine untreue Frau nach elf Jahren durchbrannte, später einen Pianisten heiratete, schwieg er edelmütig, kümmerte sich rührend um die sechs Kinder. Friedrich August III. verkörperte den modernen Staat, stand über Tagespolitik, Parteienstreit und war vor allem kein unnahbarer Würdenträger. Er ging durch Dresden, fuhr Straßenbahn. Sein Herz voll Mutterwitz und die schlagfertige Zunge sorgen bis heute für manch charmante Anekdote.

Nach der Revolution von 1918 dankte er nur für seine Person ab, lebte bis zum Tode auf Schloss Sibyllenort (31 Rittergüter, 23 000 Hektar Land) in Schlesien.  

      

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1932 wurde sein Sohn Friedrich Christian Markgraf von Meißen, Herzog zu Sachsen (1893 – 1968) Erbe des sächsischen Throns. Der Markgrafen-Titel kennzeichnet seit dem 20. Jahrhundert das Familienoberhaupt der albertinischen Wettiner. Ohne je eine Krone getragen zu haben, war Friedrich Christian ein König im Reiche des Geistes und der Kultur. Er ließ bis 1936 Haus Wachwitz – ein kleines Schloss mit Hauskapelle – nach eigenen Entwürfen am Elbhang errichten.

Es war ein kulturelles Zentrum Sachsens und ein Forum der Opposition gegen den Nationalsozialismus. Das prächtige Barockensemble Moritzburg wurde vom ererbten Wohn- und Jagdschloss zum öffentlich zugänglichen Museum.

Von Wachwitz aus erlebte der Markgraf am 13./14. Februar 1945 das Inferno von Dresden. Mittellos aus Sachsen vertrieben, erfolgte 1945 auch die Enteignung der Familie.

Im Exil, zuletzt in München, sammelte der Markgraf die in alle Welt verstreuten Sachsen. Der faszinierende Redner und große Charmeur gründete den Sächsischen Adelsverband und die Studiengruppe für Sächsische Geschichte und Kultur.

 

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1968 wurde sein ältester Sohn Haus-Chef: Seine Königliche Hoheit Maria Emanuel Markgraf von Meißen, Herzog zu Sachsen (geb. 1926). Er ist seit 1962 standesgemäß mit Ihrer Königlichen Hoheit Anastasia-Luise Markgräfin von Meißen, Herzogin zu Sachsen, Prinzessin von Anhalt (geb. 1940) vermählt. Eine glückliche Ehe, die nach 376 Jahren Askanier und albertinische Wettiner wieder vereinte.

Als Großmeister des Kgl. Sächs. Militär-St.-Heinrichs-Ordens zeichnet der Enkel des letzten Sachsen-Königs – ein Kunstmaler und Börsenmakler – heute verdiente Sachsen mit der St.-Heinrichs –Nadel aus. Enge Verbindungen unterhält der Haus-Chef zu den sächsischen Traditionseinheiten der Bundeswehr und zum Panzerbataillon 33 „Sachsen-Dragoner“ des Österreichischen Bundesheeres. Als Chef einer der ältesten deutschen Dynastien ist er fest im diplomatischen Protokoll der Bundesrepublik Deutschland verankert.

Die von seinem Vater begonnene Sammlung der Exil-Sachsen unter der Schirmherrschaft des Königs-Hauses setzte er 1970 mit der Gründung der Sachsengruppen Zürich und Innsbruck außerordentlich erfolgreich fort. 

Seit 1989 verlässt der Markgraf häufig seine Residenz am Genfer See/Schweiz, setzt sich im Lande der Ahnen für ein starkes Sachsen ein. 1996 konnte er unter Anwesenheit der sächsischen Staatsregierung seinen 70. Geburtstag auf Schloss Hoflössnitz in Radebeul feiern.

Bei den Restitutions-Verhandlungen mit dem Freistaat Sachsen konnte die Königs-Familie 1999 einen ersten wichtigen Schritt vollziehen, in den Werte von rund 25 Millionen Euro involviert sind.

Aus der Privatschatulle finanziert der Markgraf Publikationen und Forschungsprojekte zur sächsischen Geschichte, sponsert kulturelle Aktivitäten.